In Hölderlins Leben bildete die Natur eine große Konstante. Er hat in der Natur so viel gesehen, sie so innig angeredet und ihr in sämtlichen Gedichten Beachtung und Bewunderung geschenkt. In der Natur entdeckt Hölderlin immer wieder eine ergreifende Art von Schönheit und Vollkommenheit und findet sich in einem Ort der Zuflucht wieder. Nur draußen in der Natur ist es ihm möglich die Gegenwart des Göttlichen zu spüren und sich auf diese Verbindung einzulassen.
„DES MORGENS“ ist ein Hohelied auf das Erwachen der Natur und die Vorfreude auf einen neu beginnenden Tag. Es beschreibt in der ersten Strophe, wie die Natur kurz vor dem Sonnenaufgang langsam erwacht. Der Rasen liegt da, bewegungslos und glänzt noch vom Morgentau. Die Quelle hingegen fließt schon voller Bewegung und eilt dem neuen Tag entgegen. Der Blick steigt empor zu den der schwankenden Buche, hinauf in den Himmel. Denn am Horizont färbt sich das Gewölk in rötlichen Farben, voller Vorfreude auf den kommenden Tag. [1]
Dieses Gedicht sollte ursprünglich „Morgenphantasie“ heißen und ist das Gegenstück zu Hölderlins Gedicht „Abendphantasie“. Beide Gedichte entstanden im Sommer 1799. Hölderlins Leben war geprägt von deprimierenden Lebensumständen. Er musste seine Stelle als Hauslehrer im Hause Gontard aufgeben. Die berühmten Dichter seiner Zeit lehnten seine Werke ab und wollten diese nicht veröffentlichen. Dazu kam, dass er in die Frau seines Arbeitgebers verliebt war und ihm bewusst war, dass die Beziehung zu seiner Geliebten keine Zukunft hatte. Das Gedicht Abendphantasie ist von Einsamkeit und Leid geprägt, scheinbar angepasst an Hölderlins Lebenssituation und Allgemeinbefinden. Doch in „DES MORGENS“ ist nichts von diesem Schmerz und der Einsamkeit zu spüren. Es ist lebensbejahend und begrüßt den kommenden Tag voller freudiger Erwartung:
„Komm nun, o komm, und eile mir nicht zu schnell, Du goldner Tag, zum Gipfel des Himmels fort!“.
Es entsteht der Eindruck als sei die Welt gerade in diesem Moment erschaffen worden.
Im Gegensatz zu Schiller sieht Hölderlin seinen dichterischen Beruf nicht in der Vermenschlichung der Götter, sondern in der Vergöttlichung der Menschen, in Anlehnung an Platon. Dabei kommt auch der Natur eine tragende Rolle zu. Sie wirkt der Überheblichkeit des Menschen entgegen und zeigt ihm immer wieder seine Grenzen auf. Denn die Natur steht über allem, sie verweist den Menschen immer wieder darauf, wie klein er ist und wie groß und stark sie selbst ist. Man muss nur an die Naturgewalt eines Gewitters denken.[2]
Dieses Gedicht erinnert mich an Tage, an denen ich morgens etwas früher aufstehe und mich dazu entscheide den Morgen in der Natur zu verbringen. Dann bin ich immer ergriffen. Ergriffen von einer Schönheit und dem natürlichen Wandel von Nacht zu Tag. Wie die Dunkelheit langsam von der Sonne aufgehellt wird, in einer unbeschreiblichen Farbkomposition aus Rot und Gold. Wie die Natur langsam aufgeweckt wird, der Morgentau auf den Blättern glänzt und die Vögel beginnen ihre Lieder zu singen. Aber nicht nur, was ich mit den Augen erblicken kann fasziniert mich, sondern auch was ich dabei spüren kann: Motivation in den Tag zu starten. Jeden Tag einen kleinen Neuanfang zu wagen. Auch Hölderlin begrüßt den Morgen in der Ode „DES MORGENS“ und beschreibt wie die Welt im Glanz erstrahlt, als sei sie erst im Moment erschaffen worden. Das fasziniert mich.
Nina Kotschner
[1] Vgl. Sebastian Kleinschmidt: Bei Sonnenaufgang. In: Friedrich Hölderlin. „Und voll mit wilden Rosen“. Hrsg.: Marcel Reich-Ranicki. Frankfurt am Main und Leipzig 2009, S.83. [2] Vgl. Sebastian Kleinschmidt: Bei Sonnenaufgang. In: Friedrich Hölderlin. „Und voll mit wilden Rosen“. Hrsg.: Marcel Reich-Ranicki. Frankfurt am Main und Leipzig 2009, S.83.
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